November, 2020

Die Täuschung des Auges von Fräulein Emma A. / Freud. Lacan. Winnicott.

Ich befinde mich in meinem Text ausschließlich im Dienste der Psychoanalyse und deren Verbreitung.

Text   Dr. Ute Müller-Spiess

Es geht um die Täuschung des Auges von Fräulein Emma A., einem schizophrenen Mädchen aus dem Wien der Jahrhundertwende.
Es geht um die Aneinanderreihung von Freud, Lacan und Winnicott.

Präziser:
Freuds Weg der Bewusstmachung eines Traums bzw. unbewusster Abkömmlinge
über die Besetzung von Ding- bzw. Sachvorstellung mit der Wortvorstellung.

Lacans Signifikant, bzw. signifiant oder Lautbild und Signifikat bzw. signifié oder Vorstellung, das zu Bezeichnende und das Bezeichnete.

Winnicotts intermediärer Raum, der Übergangsraum, wo sich Wort- und Sachvor-stellung, wo sich Signifikant und Signifikat treffen werden.

Wir haben die Mutterbrust, die Illusion, das Kind. Mit der Desillusionierung, je nach dem containement der Mutter, je nach der Fähigkeit der Mutter zur Reverie, mit die-ser Desillusionierung, dem ersten Zusammenstoß mit der Realen entsteht der Übergangsraum, das Übergangsobjekt.

Hält eine Mutter ihr Baby im Arm, träumt sie. Sie schaut ihr Baby an und erahnt da-bei, was in ihm vorgeht. Das ist der entscheidende Teil der frühen Kommunikation zwischen Mutter und Säugling. Das ist Reverie. Von Bion sehr schön beschrieben.
Das ist der Ort in dem der Signifikant das Signifikat bzw. die Wortvorstellung die Sachvorstellung besetzen wird. Das Loch, das nur ein Loch ist und sonst nichts, wird zu einem benannten Loch und inmitten der Signifikantenkette zu einem Na-senloch oder Loch in der Wand.

Wir befinden uns im Wien der Jahrhundertwende. Mitten in einer dunklen Drei-ecksbeziehung. Freud, Viktor Tausk, Lou Salomé. Zwei Schüler Freuds. Tausk sehr jung, sehr strebsam, in einer phantasmatischen Liebe zu Freud verbunden, wird von ihm nicht in Analyse genommen, sondern zu Helene Deutsch geschickt, die wiederum Analysantin von S. Freud ist, ebenso wie Salomé. Freud erfährt von Deutsch und Salomé zu viel – wie er sagt – über den jungen Mann und rückt ihn weiter weg. Der begeht mit 42 Selbstmord.

Fräulein Emma A. fühlte sich von ihrem Geliebten in einer ganz ungewöhnlichen Weise beeinflusst. Was sagt sie? Ihre Augen säßen nicht mehr richtig in ihrem Kop-fe, sie seien ganz verdreht. Das käme daher, dass ihr Geliebter ein schlechter, ver-logener, ein Augenverdreher sei. In der Kirche spürte sie einmal plötzlich einen Ruck, als würde sie verstellt werden, was seinen Grund darin hatte, dass ihr Gelieb-ter sie verstelle, und sie schon ganz verdorben sei und sich nun gleich gemacht habe.

Tausk hat diese Patientin als Beispiel für eine Beeinflussungspsychose genom-men, wobei nicht die paranoide Abwehr, sondern die Identifikation verwendet wird. Ich würde es heute dynamisch, als Identifizierung benennen. Der Beeinflussungsapparat von Tausk, der Apparat, von dem sich schizophrene Männer der Jahrhundertwende verfolgt fühlten, ist heute den Apparaten der Fern-meldetechnik gewichen. Fast immer verbunden mit Phantasien der Schwächung der Manneskraft oder Pollution und Erektion.

Freud beleuchtet den Wahninhalt dieser schizophrenen Patientin von Tausk.
Hier befindet sich der Analytiker nicht im Bereich der unbewussten Sachvorstellun-gen, er befindet sich im Bereich der Wortvorstellung, der Wortassoziation, die wie eine Sachvorstellung verwendet wird, surreal, verrückt.

Freud, Saussure, Wort- und Sachvorstellung
Lacan Signifikat und Signifikant. Das zu Bezeichnende und das Bezeichnete.
Die Sprache ist eine Struktur, ein System, das sich über die Funktion des Zeichens charakterisiert. Bei der Schizophrenie werden also die Worte dem Primärvorgang unterworfen.
Der Schizophrene besetzt im umgekehrten Sinn zur Verdrängung.
Das ist seine Heilungschance sein Wiederherstellungsversuch.
Konkrete Worte werden abstrakt behandelt. Es findet eine Entsymbolisierung statt. Wo ein Kind bereits Metapher, Symbol und Sinnbild einsetzt, bleibt es beim schizo-phrenen Menschen konkret. Was aus Emma A. geworden ist? Wir wissen nichts darüber.

Winnicotts Übergangsraum fungiert als Mittler zwischen einem undifferenzierten Autoerotismus und den ersten Konturen eines Innen und Außen.
Hier sind die ersten Spuren einer Symbolbildung, einer Zeichenverwendung, eine schlaftrunkene Vorahnung dessen, was die Not des Lebens bedeuten wird. (Freud: 1900 S.538.) Es führt sich die Reale ein. Aufwachen. Erwachen.

Literatur:
Bion, Wilfred (1997): Transformationen 1965. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Freud, Sigmund (2010): Das Unbewusste. Gesammelte Werke Band X. Fischer Ver-lag Frankfurt am Main: Fischer Verlag
Lacan, Jaques (2018): Das Seminar, Buch IV. Die Objektbeziehung. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek nach dem von Jacques-Alain Miller hergestellten französi-schen Text. Wien: Turia und Kant
Lacan, Jaques (2010): Das Seminar, Buch X. Die Angst. 1962–1963. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek nach dem von Jacques-Alain Miller hergestellten französi-schen Text. Wien: Turia und Kant
Tausk, Victor (1919): Über die Entstehung des ‚Beeinflussungsapparates‘ in der Schizophrenie. In: Internationale Zeitung für Ärztl. Psychoanalyse Heft 5
Winnicott, Donald (1979): Übergangsobjekte und Übergangsphänomene 1953. Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett Cotta