Die Ursache sucht nicht, sagt Lacan, sie strebt kein Äquivalent an, es gibt keine „Vernunftregel“, keine „Vergleichung“, keinen Zugang zur Ratio. Sie hat diese Klaffung. Es ist kein Irreal, kein Dereal, nur Nichtrealisiertes. Erst im Stolpern, im Knick, in der Überraschung wird die Diskontinuität blitzen.
In diesem Unbegriff, im Nichtreal, im Bruch darin taucht das Begehren auf, hier zeigt sich der Schnitt des Subjekts. Hier sind die ersten Spuren der Symbolbildung, einer Zeichenverwendung, eine schlaftrunkene Vorahnung dessen, was für Freud 1900 die zukünftige Not des Lebens bedeutet.
Für Laplanche bedeutet es das „eingeklemmte“ Unbewusste, das nicht durch den Namen des Vaters ging, ein Ort des Stillstands, aber auch ein Ort der Erwartung, eine Art Fegefeuer für die Botschaften im Wartezustand.
Es gibt eine präsubjektive Ebene noch vor jeder Formierung des Subjekts, das zählt, das sich situiert. Vor diesem Gezählten ist schon ein Zählendes da. Die Natur liefert den Signifikanten.
Mir ist dazu Francis Bacon (1561 -1626) in den Sinn gekommen, sein Aufsatz Cupido und das Atom in seinem weniger bekannten Buch Die Weisheit der Alten (Organum).
Eine wissenschaftsutopische Zuspitzung der Mythendeutung. Der Mythos verhüllt und breitet einen Schleier, velum, über das, was später die Wissenschaft enthüllen wird, sagt Francis Bacon damals.
Die Schönheit seines Textes und die Nähe zur Ursache und zur Klaffung sind mir dabei aufgefallen. Nun bitte ich Sie, nicht in einer Stufenfolge, sondern in einem Sprung mitzudenken.
Wörtlich: „Es wird berichtet, Cupido sei der älteste aller Götter gewesen, älter als alle anderen Dinge, außer dem Chaos, das gleich alt gewesen sein soll. Das Chaos aber wird von den Alten niemals mit der Ehre oder mit dem Namen eines Gottes ausgezeichnet. Überdies wird von der Liebe gesagt, sie habe keine Eltern gehabt, nur einige meinen, sie sei einem Ei der Nacht entschlüpft. Sie selbst habe alle übrigen Dinge, einschließlich der Götter, aus dem Chaos hervorgebracht. Vier Eigenschaften werden ihr zugeschrieben: ewige Kindheit, Nacktheit, Blindheit und die Kunst des Bogenschießens.“ (Bacon 1990: 43) Weiters heißt es:
„Diese Sage berührt und durchdringt den Ursprung der Natur. Die Liebe scheint der Trieb (appetitus) oder der Antrieb (stimulus) der ursprünglichen Materie gewesen zu sein oder, um es deutlicher zu sagen, die natürliche Bewegung der Atome (…) Sie selbst hat keine Eltern, d.h. keine Ursache, denn die Ursache ist gleichsam die Mutter der Wirkung; von dieser Kraft (virtus) aber kann es keine Ursache in der Natur geben, denn da es nichts vor ihr gab, konnte sie nicht die Wirkung von etwas sein, und da nichts in der Natur ursprünglicher ist, konnte sie weder Geschlecht noch Form haben. Was auch immer sie sein mag, sie ist wirklich, wenngleich unerklärlich (…) denn sie ist Ursache aller Ursachen und selbst ohne Ursache“ (Bacon 1990: 43-44).
„Was die Dichter von Cupido oder der Liebe berichten, kann eigentlich nicht auf ein und dieselbe Person zutreffen. Es gab aber noch einen anderen Cupido, den jüngsten aller Götter, auf den die Merkmale des älteren in gewisser Weise angemessen übertragen wurden“ (Bacon 1990: 43).
Er hatte ja schon den Bogen. Er hatte damit was vor. Er konnte nur jünger sein. Er lenkt seine Begierde bereits auf ein Objekt. Von Venus, seiner Mutter kommt die allgemeine Neigung- von Cupido dagegen die Zuneigung.
Die Ursache sucht nicht, sie hat kein Äquivalent, erst in der Klaffung sind die ersten Spuren der Symbolbildung, der Zeichenverwendung. Dort kann ein Ziel Cupidos erst auftauchen.
Man könnte sagen
Das Chaos ist die causa materialis
Cupido die causa efficiens
Das Ei der Nacht die causa formalis
und die Bewegung der Atome die causa finalis
Dankeschön.
Ute Müller-Spiess, Wien
vorgetragen in Berlin, November 2021
Literatur:
Francis Bacon (1990): Die Weisheit der Alten. Hg. Von und mit einem Essay von Philipp Rippel. Frankfurt a. M.: Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 43 – 45.
Jacques Lacan (1995): Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse; Kapitel 2: Das Freud’sche Unbewusste und das unsere, Seite 23 ff. Deutsche Ausgabe, Wien: Verlag Turia + Kant.
Jean Laplanche (2014): Leben und Tod in der Psychoanalyse Gießen: PsychosozialVerlag.