Effekte der Sprache auf den Körper, Effekte des Schweigens auf den Körper. Aber welchen Körper meinen wir? Die deutsche Sprache hat eine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Körper und Leib entwickelt, ein sprachliches Kapital, „…das man nicht verschleudern sollte, indem man vom Körper spricht, wenn man Leib meint“ (Waldenfels 2000: 15). Maurice Merleau-Ponty bricht die Ambiguität des Wortes „corps“, indem er vom „corps propre“ spricht, wenn er den Leib meint. Das Wort für unseren „eigenen Leib“ im Gegensatz zum „bloßen Körper“ wird bei ihm zu einem „le corps propre“.
Lacans Körper taucht doppelt auf, als Körper, der das sprechende Subjekt ist und der Körper, den das sprechende Subjekt hat. Das im Spiegelstadium betonte Spiel zwischen Blicken und einem Bild betrifft den Körper vor allem in seiner narzisstischen Potenz (Kadi 2000). Dieser imaginäre Aspekt galt Lacan als täuschend. Der Körper taucht bei ihm im knotentheoretischen Zusammenhang auf. Er liest in späten Seminaren die Skizze Freuds vom Ich, Es und Überich als „Dottersack“ und damit als körperliche Struktur oder mit einem Wort des späten Merleau-Ponty als Fleisch („chair“).
Effekte des Schweigens auf den Körper; nicht das wortlos oder sprachlos sein, sondern das innere Schweigen des Analytikers ist es, das dem Subjekt das freie Reden ermöglicht und dem Analytiker das Hören.
Rudolphe Loewenstein sagt 1956, bei diesem besonderen Dialog, nämlich der Psychoanalyse, wird vorausgesetzt, dass der Analytiker seine ganze Aufmerksamkeit auf die gesamte psychische Aktivität seines Patienten ausrichtet und dabei den eigenen Wortgebrauch nur zur Hilfe nimmt, um seinen Partner zu verstehen. Die „gesamte psychische Aktivität“ schließt 1956 Leib und Körper bei Löwenstein mit ein.
Unter welchen Voraussetzungen kommt es nun zu einer Bewegung des gelebten Leibs, zu einem gegenständlich gewordenen Körper?
Der Analytiker bricht sein Schweigen reduziert auf Bemerkungen, Interpretationen, für eine Deutung, für eine Konstruktion, die in der Vorzukunft eingebettet ist.
Hat das Subjekt einen Körper wie ein Ding unter Dingen, wird es zu einem traumatischen Aufprall der Worte kommen, sie werden sich dem Sinn entziehen und in der Folge zu einer Verdrehung in einen realen, imaginären, symbolischen Körper drängen und sich dadurch entleeren. Der Signifikant hat immer Priorität vor dem Subjekt. Er spielt und gewinnt, sagt Lacan 1966.
Wie in allen Bildungen und „Machenschaften“ des Unbewussten wird auch hier der Überraschungseffekt, der Aufprall der Worte die Selbstteilung des Subjekts durch das Spiel der Signifikanten sichtbar machen. Was es da gab, ist nicht mehr. Es ist nur mehr ein Signifikant.
Das, was bleibt, wird in jedem Fall beschädigt sein.
In einer kritischen Weiterentwicklung des exzentrischen Wortpaares des Körper-Habens, das das zielgerichtete Handeln in der Welt verbürgt, findet Helmuth Plessner 1982 einen weiteren Modus, nämlich einer gegebenen Existenz als Leib im Körper, der der Position des Körper-Habens vorgeordnet ist. Leib (Sein) und Körper (Haben) rücken zusammen, verhalten sich reziprok, nicht mehr nur zirkulär.
Merleau-Ponty spricht vom Leib als Mittel des Zur-Welt-Seins. Der Modus der Leibgebundenheit besagt damit in seiner lebenslangen, permanenten Präsenz, „dass ich niemals ihn eigentlich vor mir habe, dass er sich nicht vor meinem Blick entfalten kann, vielmehr immer am Rand meiner Wahrnehmung bleibt und dergestalt mit mir ist“ (Merleau-Ponty 1966/1986: 155). Somit sind Welt und Körper verwoben und Welt und Subjekt im Modus der Leibgebundenheit begründet.
Hier sind wir beim zweiten Begriffspaar „Haben und/oder Sein“.
1976 beschreibt Fromm zwei grundlegende Orientierungen. Haben ist mit Quantifizierung verbunden. Anders das Sein, dessen man nicht habhaft werden kann. Haben verdinglicht, im Sein geht der Mensch in seinem leiblichen Lebensvollzug auf. Das Sein verknüpft sich mit Gelassenheit, einem Seinlassen. Das Schweigen brechende, intervenierende Wort wird so „sein gelassen“.
Indem das Subjekt den Körper im Sprechen wie hinter sich lässt, wird es den Leib pulsieren, als Leib jedoch in der Immanenz des Körpers verortet.
Dieser gelebte Leib wird unter dem „Blick des Anderen“, im Schock der Worte nackt den gegenständlichen Körper anklingen lassen, indem er eine Außenseite erhält – er wird zum Körper für andere, wie Sartre sagt.
Der Leib meint die Bewegung des Lebens selbst, der Körper ist ein festgestellter.
Leibsein ist immer im Werden begriffen, Körper-Haben ist geworden sein.
Das Genießen durch die traumatische Wirkung der Sprache auf den Körper setzt einen lebendigen, keinen spiegelbildlichen Körper voraus.
Wenn Lacan 1976 in Joyce le Symptôme das Symptom zu einem Ereignis des Körpers werden lässt, die Effekte des Genießens die Mortifikation überholen, Parlêtre, Lalangue und das Sinthom mitreden werden, ist die Zeit gekommen, die mir sinnvoll erscheint, den Körper im Körper („hat einen Körper“) Leibsein werden zu lassen.
Ute Müller-Spiess/ Wien
Literatur:
E. Fromm (1976/1999): Gesamtausgabe Bd. II. München: dtv.
J. Lacan (1966/2015): Schriften II. Berlin: Turia + Kant.
J. Lacan (1979/2001): Joyce le Symptôme. Autres écrits. Paris: Le Seuil.
R. Loewenstein (1956): Some remarks on the role of speeks. in Psycho-analytic technique.int. J.of Ps.A.37.
U. Kadi, 2020: Körper: Wissen und Schreiben, in: Macht – Knoten – Fleisch. Topo- graphien des Körpers bei Foucault, Lacan und Merleau-Ponty. Stuttgart: Metzler Verlag.
M. Merleau-Ponty (1986:1966): Das Sichtbare und das Unsichtbare. München: Fink.
H. Plessner (1982): Gesammelte Schriften Bd. IV. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
J.-P. Sartre (1943/1994): Das Sein und das Nichts. Reinbek: Rowohlt.
B. Waldenfels (2000): Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Cartel L.O.B. (LACANsche Orientierung Berlin).
NLS-Kongress 2021: Effekte der Sprache auf den Körper.
https://www.lacanscheorientierungberlin.com/